Ihr liebt Blade Runner? Eine vernachlässigte Sci-Fi-Serie bei Netflix lässt mich nachts von elektrischen Schafen träumen

Die Thematik um Mensch und Roboter wurde für mich nie so gut aufgearbeitet wie in »Pluto«.

Mehr »Blade Runner« als »Pluto« wirds nicht mehr. (Bild: Netflix, Warner Bros.) Mehr »Blade Runner« als »Pluto« wird's nicht mehr. (Bild: Netflix, Warner Bros.)

Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Diese Frage haben sich viele bekannte Sci-Fi-Geschichten gestellt.

Die bekannteste von ihnen: »Blade Runner«, basierend auf dem Roman »Träumen Androiden von elektrischen Schafen?« von Philip K. Dick.

Ich sag’s euch, wie’s ist: Das Thema ist eigentlich für mich ausgelutscht. Doch dann erschien »Pluto« auf Netflix …

Maxe Schwind
Maxe Schwind

Maxe ist Fan guter Geschichten, die zum Nachdenken anregen. Vor ein paar Jahren fand für ihn eine Flaute an guten Storys aus der westlichen Welt statt (was vermutlich auch daran lag, dass er Filme und Serien beruflich kritisierte) und wandte den Blick nach Osten – und Manga und Anime haben ihn schließlich selbst zum Autor gemacht.

Für Sci-Fi und Fantasy schlägt sein Herz, »Pluto« von Naoki Urasawa hatte er als Manga schon lang auf dem Schirm, doch Netflix kam ihm mit dem Anime zuvor. Doch dass die Story so gut und philosophisch ist, hätte er nicht gedacht.

Pluto: Thriller, Krimi, Sci-Fi, Mystery, Milieustudie

Darum geht es in »Pluto«: In einer nicht näher genannten Zukunft leben Menschen und Roboter zusammen. Eine Mordeserie erschüttert die Welt: Sowohl ein Roboter als auch ein Mensch wurden getötet. Ihre Gemeinsamkeiten: Beide setzten sich für die Rechte von Robotern ein.

Inspektor Gesicht, selbst ein Roboter, wird auf den Fall angesetzt und findet bald heraus, dass der Mörder es auf die sieben weitentwickelsten Androiden der Welt abgesehen hat – zu denen auch er selbst gehört.

Die Ähnlichkeiten von »Pluto« zu »Blade Runner« sind bestechend:

  • Künstliche Intelligenz und Roboter spielen die Hauptrolle.
  • Zentrale Themen sind Menschlichkeit und Identität.
  • Beide Hauptfiguren sind Ermittler.
  • Beide Geschichten spielen in einer dystopischen Zukunft.
  • Moral und Ethik werden als Fragen aufgeworfen.

Was, wenn ich euch sage, dass »Pluto« älter als »Blade Runner« ist?

Na gut, das stimmt nur halb. »Blade Runner« von 1982 basiert auf Philip K. Dicks Roman von 1968. Der Manga »Pluto« erschien erstmals 2003, doch er basiert auf den »Astro Boy«-Geschichten von 1952 (Wikipedia bezeichnet es sogar als Neuinterpretation).

»Pluto« unterscheidet sich jedoch in einem elementaren Detail: Replikanten verstecken sich nicht zwischen Menschen, Roboter sind eine eigene Rasse.

»Pluto« dreht sich maßgeblich um Asimovs erstes Robotergesetz

Der Roboter namens Atom spielt eine tragende Rolle in »Pluto«. (Bild: Netflix) Der Roboter namens Atom spielt eine tragende Rolle in »Pluto«. (Bild: Netflix)

Schriftsteller Isaac Asimov stellte 1942 seine drei Robotergesetze auf, die noch heute, über 80 Jahre später, ein Pfeiler für Sci-Fi-Autoren sind. Der Einfachheit halber fokussiere ich mich auf das erste Gesetz, auf das sich auch »Pluto« hauptsächlich stützt:

Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.

Isaac Asimovs erstes Robotergesetz

Relativ früh wird klar, dass in der Geschichte Menschen und Roboter koexistieren – und Roboter darf man hier wörtlich nehmen. Sie können zwar identisch zu Menschen aussehen, sehen ganz oft aber auch nach Maschinen aus.

Kennt hier jemand noch Rosie, den Haushaltsroboter aus »Die Jetsons«. So ungefähr könnt ihr euch die mechanischen Charaktere aus »Pluto« vorstellen. (Bild: Hanna-Barbera) Kennt hier jemand noch Rosie, den Haushaltsroboter aus »Die Jetsons«. So ungefähr könnt ihr euch die mechanischen Charaktere aus »Pluto« vorstellen. (Bild: Hanna-Barbera)

Damit hat die Serie mir sofort einen Spiegel vorgehalten. Es geht nämlich gar nicht darum, dass die Menschheit von Replikanten unterwandert wird, sondern um das Zusammenleben von Menschen mit Robotern, deren KI so weit entwickelt ist, dass sie wie Lebewesen wahrgenommen werden wollen.

Ich gebe euch ein Beispiel. Am Anfang der ersten Folge wird ein Polizeiroboter von einem Kriminellen niedergeschossen und stirbt. Als Zuschauer habe ich den Roboter als »Ding« wahrgenommen – und bekomme wenig später die Quittung.

Inspektor Gesicht besucht die Gattin des Roboters und überbringt ihr die schreckliche Nachricht vom Tod ihres Mannes. Weil die nicht weiß, wie sie als mechanisches Lebewesen Gefühle ausdrücken kann, legt Gesicht ihr den Memorychip ihres Gatten ein, sodass die Roboterfrau die letzten Sekunden aus dessen Sicht erleben kann – und das ist ein Schlag in die Magengrube.

Der Roboter Blue 1589 hat bereits entgegen seiner Programmierung Menschen getötet und ist für Inspektor Gesicht so etwas wie eine Hannibal Lecter-Figur. (Bild: Netflix) Der Roboter Blue 1589 hat bereits entgegen seiner Programmierung Menschen getötet und ist für Inspektor Gesicht so etwas wie eine Hannibal Lecter-Figur. (Bild: Netflix)

Autor Urasawa hat mich vorgeführt, indem ich die Roboter zunächst als minderwertig wahrgenommen habe, obwohl sie das in »Pluto« nicht sind. Und natürlich schwingt da auch Rassismus mit, der sich spielend leicht aufs echte Leben übertragen lässt (was ich an dieser Stelle nicht tun werde).

In der zweiten Hälfte der ersten Folge wird das mit einer kleinen, feinen Story rund um einen blinden, verbitterten Komponisten und einem ehemaligen Kriegsroboter noch auf die Spitze getrieben.

Die Serie ist gleichzeitig zeitlos und ein Produkt ihrer Zeit

Das Thema von »Pluto« ist zeitlos; der Manga erschien erstmals 2003 und spielt mit den Ängsten seiner Zeit.

  • Der Irakkrieg und damit verbundene Islamophobie
  • Massenvernichtungswaffen
  • Serienkiller und Attentate

Warum funktionieren diese Themen 20 Jahre später noch so gut? Weil die Serie nicht den moralischen Zeigefinger hebt. Die Geschichte spielt rund um den Globus – Deutschland, Japan, Persien, die Niederlande, Australien –, aber niemand ist ein offensichtliches Feindbild.

Nicht einmal die als Massenvernichtungswaffen deklarierten, sieben Superroboter selbst (was schließlich mit dem Bösewicht, einem klassischen Anti-Antagonisten, auf die Spitze getrieben wird). Sie sind vielleicht die menschlichsten Charaktere der gesamten Geschichte.

Warum ich euch die Serie empfehle

Um die Hörner aus dem Logo wird lange Zeit ein Rätsel gemacht. (Bild: Netflix) Um die Hörner aus dem Logo wird lange Zeit ein Rätsel gemacht. (Bild: Netflix)

Die thematischen Parallelen zu »Blade Runner« habe ich klargestellt. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass wenn ihr den Film (oder das Buch von Philip K. Dick) mochtet, auch mit »Pluto« glücklich werdet.

Eine Warnung vorweggeschickt: Es handelt sich bei dieser Serie um einen Anime, wobei der Look sehr anime-untypisch ist. Lasst euch davon aber nicht abschrecken. »Pluto« ist in 8 Folgen á 60 Minuten auserzählt. Es guckt sich also wie eine herkömmliche (Mini-)Serie.

Was mich beeindruckt hat, ist nicht nur die techno-philosophische Tiefe, sondern auch die Geschichte selbst.

Es beginnt mit einem Mord, der sich bald zu einem Serienmord entwickelt, und vom chronisch überarbeiteten Inspektor Gesicht (der mehr mit Ryan Goslings Charakter aus »Blade Runner 2049« gemein hat, denn Harrison Fords Rick Deckard) begleitet wird, den selbst ein Geheimnis umgibt, von dem er nichts weiß.

Inspektor Gesicht (er trägt den Namen nicht ohne Grund) ist der Protagonist. (Bild: Netflix) Inspektor Gesicht (er trägt den Namen nicht ohne Grund) ist der Protagonist. (Bild: Netflix)

Seine Nachforschungen regen nicht nur zum Nachdenken an, sondern vertiefen den Kriminalfall, der sehr lange viele Mysterien aufeinander häuft (die auch alle gelöst werden), mit jeder neuen Figur, die er trifft: roboterhassende Sekten, Roboter, die mehr fühlen als Menschen oder eine Massenvernichtungswaffe, die zum Pazifist geworden ist.

»Pluto« hat noch etwas mit »Blade Runner« gemein: Es besitzt wenig Action. Es gibt Actionszenen, aber die Spannung zieht sich viel mehr aus der drohenden Spaltung von Menschen und Robotern, die in unserer heutigen Zeit nachvollziehbarer denn je ist. 

Das Pacing ist langsam, aber wenn Autor Naoki Urasawa eines kann, dann Geschichten so zu erzählen, dass immer etwas passiert, das alles Bisherige in eine neuen Kontext setzt (und das, ohne eines seiner Geheimnisse zu verraten).

Und selbst wenn euch dieser Artikel von der Sci-Fi-Serie nicht überzeugen konnte – und ich habe wirklich nur an der Oberfläche gekratzt –, dann dient sie ganz sicher als guter Zeitvertreib bis zur bereits angekündigten »Blade Runner«-Serie auf Amazon Prime Video.

Nachstehend findet ihr noch den Trailer zu »Pluto«. Zu sehen ist die Serie auf Netflix.

Ich stelle mir auch nach dem Serienfinale von »Pluto« wieder die Frage: Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? 

Und auch, wenn der Anime mir die Beantwortung dieser Frage nicht einfacher gemacht hat, so hat er sie in einen ganz neuen Kontext gesetzt.

Habt ihr »Pluto« gesehen oder gelesen? Wenn ja, lasst uns unsere Gedanken in den Kommentaren austauschen!

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