Zwischen Themsemündung und Wilhelmshaven liegt schon bald ein 725 km langes Stromkabel

Die Energiewende ist ein Vorzeigeprojekt Europas. Ein Baustein geht als Premiere dabei buchstäblich über die Grenzen der EU hinaus.

Das Vereinigte Königreich und Deutschland bauen mit Neuconnect eine der zukünftigen Stromautobahnen für das europäische Energienetz. (Bild: 1xpert - adobe.stock.com) Das Vereinigte Königreich und Deutschland bauen mit Neuconnect eine der zukünftigen Stromautobahnen für das europäische Energienetz. (Bild: 1xpert - adobe.stock.com)

Großbritannien ist längst kein Teil der Europäischen Union mehr, doch Deutschland und das Vereinigte Königreich reichen sich für die elektrifizierte Zukunft geeint wie nie zuvor die Hände – buchstäblich. Von Wilhelmshaven bis zu einer Insel in der Themsemündung entsteht derzeit eine neue Stromautobahn. Es handelt sich dabei um das derzeit größte deutsch-britische Einzelprojekt überhaupt.

Hinter dem Neuconnect getauften Vorhaben, das private Investoren für rund drei Milliarden Euro stemmen, steckt ein Baustein für das europäische Energienetz der Zukunft – und eine Chance, das Kraftwerk Nordsee auch ohne Bayern sinnvoll auszunutzen.

Windkraft in der Nordsee: Wie hier beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nachlesbar ist, gilt die Nordsee als einer der Motoren der europäischen Energiewirtschaft. Allein durch Deutschland werden nur im kommenden Jahrzehnt etliche Gigawatt mehr an potenzieller Leistung durch Windenergie installiert.

Wer hier nun gedanklich hinzuzählt, was andere Anrainer wie die Niederlande, Dänemark oder eben auch England noch draufsatteln, versteht die zentrale Bedeutung der Nordsee für die Zukunft Europas.

Das Kraftwerk Nordsee braucht Anbindung

Der Hauptzweck von Neuconnect als sogenannter Interkonnektor ist es, das deutsche sowie englische Stromnetz miteinander zu verbinden. Bisher gibt es kein direktes Kabel für elektrische Energie zwischen uns und den britischen Inseln. Strom muss dazu über die bereits stark belasteten Leitungen in Frankreich fließen.

2028 soll dieser Missstand enden und Neuconnect ans Netz gehen, um ab dann jährlich Strom für rund 1,5 Millionen Haushalte zu transportieren.

Was sind Interkonnektoren? Hinter diesem sperrig anmutenden Fachbegriff stecken die Grenzübergänge für Strom. Hier schickt sich elektrische Energie an, das deutsche Stromnetz zu verlassen und – mit wenn nötig anderer Spannung – in das eines Nachbarn eingespeist zu werden.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat Deutschland zurzeit 54 solcher Interkonnektoren (via Zeit.de). Über vier hierbei mitgezählte Seekabel sind wir auch mit Schweden und Norwegen verbunden. 16 weitere Interkonnektoren, darunter Neuconnect, befinden sich in Planung bzw. sind inzwischen teils im Bau.

Diese Grafik illustriert den Aufbau von Neuconnect. Quelle: Neuconnect Projektgesellschaft Diese Grafik illustriert den Aufbau von Neuconnect. Quelle: Neuconnect Projektgesellschaft

Zudem sind Konverter Teil von Interkonnektoren. Sie wandeln Gleich- in Wechselstrom um und umgekehrt. Der haushaltsübliche Wechselstrom taugt nicht für die lange Reise, hier ist Gleichstrom überlegen, es geht weniger nutzbare Energie in Form von Wärme verloren.

Der Hintergrund des Begehrens der deutsch-britischen Kooperation ist, die entstehenden deutschen sowie englischen Windparks in der Nordsee allzeit voll auszulasten. Momentan entstehen nämlich immer wieder Engpässe, soll heißen: Es wird mehr Strom produziert als weggeführt werden kann.

Das Resultat ist eine Drosselung der Anlagen. Vollkommen unsinnig, wird das Ziel der Klimaneutralität bedacht. Aber der Abschaltzwang ist gegeben, da der Strom zum Beispiel innerhalb Deutschlands (noch) nicht gen Süden verschickt werden kann. Stichwort: Suedlink, oder vielmehr sein Fehlen.

Suedlink soll die Windkraftzentren im Norden mit dem energiehungrigen industriellen Kern Deutschlands in Baden-Württemberg und Bayern verbinden. Bisher sind nur wenige Kilometer Strecke genehmigt, geschweige denn fertiggestellt. Das sind nur zwei Gründe von vielen für die lange Planungs- und Bauzeit:

Suedlink wird aus heutiger Sicht (Mitte 2024) wohl keinesfalls vor Neuconnect Strom transportieren. Frühestens Ende 2028 ist mit einer funktionsfähigen Gesamttrasse zu rechnen und weitere Verzögerungen sind bei Suedlink zudem wahrscheinlich.

Die Nordsee soll nach dem Willen vieler Regierungen sowie der EU zu einem der Stromerzeugungs-Gebiete schlechthin werden. (Bild: Tom Bayer - adobe.stock.com) Die Nordsee soll nach dem Willen vieler Regierungen sowie der EU zu einem der Stromerzeugungs-Gebiete schlechthin werden. (Bild: Tom Bayer - adobe.stock.com)

Die Wegstrecke über und unter Land bringt weit mehr Unwägbarkeiten mit sich.

Ein Beispiel: Die schweren Leitungen müssen auf Verkehrswegen, die derzeit dafür nicht ausgelegt sind, transportiert werden. Also ist es unvermeidbar, vor dem Vergraben der Trasse vielerorts erst Autostraßen auszubauen – die mehr als 8.000 einzeln auszustellenden (laut Betreiber aufwendigen) Transportgenehmigungen mal direkt außen vor gelassen.

Wieso braucht es überhaupt einen europäischen Strommarkt?

Das Netz, das die europaweiten Interkonnektoren aufspannen, wird mit wachsender Größe und Dichte an Zwischenverbindungen zunehmend sicherer. Je breiter die verstreuten Produzenten verschiedener Art aus allen Teilen Europas mit den andernorts oft konzentrierten (Groß-)Verbrauchern verbunden sind, desto stabiler und flexibler zeigt sich das Netz.

So kann überschüssiger Strom aus einem Land, rasch woanders genutzt werden. Oder anders: Leben retten. Beispiel gefällig? Derzeit versorgen wir die ans Netz angeschlossene Ukraine mit Unmengen an Strom, da deren eigene Produktion durch russische Angriffe bzw. Eroberungen (zum Beispiel Kernkraftwerk Saporischschja) arg in Mitleidenschaft gezogen ist.

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