Seite 4: Frauen über Sexismus: Activision Blizzard ist nur die Spitze des Eisbergs

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Ein Rattenschwanz an Unmenschlichkeiten

Eigentlich erstaunlich, dass der jahrzehntelang gelebte strukturelle Sexismus erst jetzt einen Breaking Point erreicht. Und was derzeit öffentlich wird, ist nur die Spitze des Eisbergs. Nathalie Lawhead sagt: 

»Wir sind jetzt an einem Punkt, wo so ziemlich jede Frau in der Videospielbranche ihre eigene Horror-Story erzählen kann. Es ist schlicht unmöglich geworden, all diese Geschichten zu ignorieren.« 

Dabei hängt am Thema Sexismus ein ganzer Rattenschwanz an verwandten Diskriminierungen und Unmenschlichkeiten, die nun ebenfalls ans Tageslicht kommen: »Sexismus ist nur eines der vielen Probleme, die der Gaming-Bereich hat. Zieht man da jetzt an dem Faden, hängt da ein ganzes Bündel an damit in Zusammenhang stehenden Missständen daran wie Rassismus, Homophobie oder White Supremacy«, so Lawhead. 

Nathalie Lawhead ist Gamedesignerin, die selbst zum Opfer wurde. Nathalie Lawhead ist Gamedesignerin, die selbst zum Opfer wurde.

Man kann nicht eines davon demontieren, ohne alle zu adressieren. Das ist natürlich ein Thema, mit dem nicht nur die Videospielindustrie zu kämpfen hat. Nina Kiel weist darauf hin: »Diskriminierung, Sexismus, Rassismus und Übergriffigkeit am Arbeitsplatz sind wegen der historisch starken Homogenität in den Gaming-Firmen zwar besonders häufig anzutreffen – aber die Benachteiligung marginalisierter Gruppen zieht sich quer durch unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen.« Was es braucht, ist klar ein »gesamtgesellschaftlicher Wandel«. Was die Konsumenten tun können, um Veränderung zu bewirken, versuchen wir übrigens in einem anderen Report zu ergründen:

»Eigentlich bin ich überrascht, dass ich überlebt habe«

Frauenfeindlichkeit ist in der Videospielindustrie der Elefant im Raum: Jeder weiß davon, niemand spricht darüber. Das ändert sich gerade. Wir haben nachgefragt – und überwältigende Rückmeldung bekommen. Hier sollen Betroffene selbst zu Wort kommen. Denn: Es ist höchste Zeit für eine Bilanz. Um die Betroffenen zu schützen haben wir uns dazu entschieden, die geschilderten Erfahrungen zu anonymisieren. Die Namen sind der Redaktion bekannt. 

Bezeichnend ist, dass einige der befragten Frauen mittlerweile gar nicht mehr in der Videospielbranche beschäftigt sind. Auch wegen der dort gemachten Erfahrungen. Eine ehemalige deutsche Spieleentwicklerin schreibt uns, dass »tatsächlich auch das teilweise problematische Verhalten unter Kollegen und von Vorgesetzten« der Grund dafür ist: »Auch ich habe Sexismus und Diskriminierung erfahren. Und das im extremen Ausmaß, sodass mir die Lust vergangen ist, weiter in der Branche zu arbeiten.« Ein Fall mehr, bei dem das Opfer den Schaden hat – nicht die Täter. Eine US-amerikanische Spieleentwicklerin, die schon zwanzig Jahre in der Branche arbeitet, vertraut uns an: 

»Eigentlich bin ich überrascht, dass ich überlebt habe. Es war ganz üblich, dass ich auf einem Event wie der Game Developers Conference war und etwa einen männlichen Kollegen getroffen habe, von dem ich dachte, dass man beruflich auf einer Wellenlänge sei. Dann habe ich eine warnende Nachricht bekommen, in der es hieß, dass er Frauen belästige. Das passiert oft.« 

Für Frauen ist die Videospielbranche allzu oft ein Minenfeld, das sie betreten, wenn sie morgens einfach nur zur Arbeit gehen: »Es ist ein extrem schwieriges Umfeld, in dem sich Frauen und andere marginalisierte Minderheiten da bewegen. Männer können sich überhaupt nicht vorstellen, was es als Frau bedeutet, zu Events wie der Game Developers Conference zu gehen«, erzählt uns die US-amerikanische Spieleentwicklerin.

»Gefährliche Männer sind ein offenes Geheimnis. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sich Frauen zu Gruppen zusammentun, um sich gegenseitig vor K.o.-Tropfen auf Branchenpartys zu schützen.« 

Beschäftigte bei Activision Blizzard demonstrieren in sogenannten Walkouts, hier in Kalifornien am 28. Juli 2021. Beschäftigte bei Activision Blizzard demonstrieren in sogenannten Walkouts, hier in Kalifornien am 28. Juli 2021.

Sexismus kennt keine Grenzen

Dabei besteht das Problem über alle Ländergrenzen hinweg. Eine in der deutschen Spielebranche Beschäftigte erzählt uns: »Mir persönlich sind früher auf Gamescoms oder Games Conventions männliche Kollegen aus der Branche schonmal unangenehm nahe gekommen – bei Partys oder auch im normalen Messebetrieb.« Gerade für Berufsanfängerinnen eine verheerende Situation:

 »Mit Anfang zwanzig wehrt man sich vielleicht nicht dagegen, weil man gar kein Gespür dafür hat, was wie unangemessen ist, und dass so ein Verhalten eben nicht normal ist.«

Diese Asymmetrie beginnt oft schon im Ausbildungsumfeld. Eine in der deutschen Gamesbranche tätige Frau berichtet: »Bereits an der Uni hat in der gamesspezifischen Ausbildung ein starkes Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern geherrscht: Nur etwa zwanzig Prozent der Studierenden war weiblich. In Team-Projekten wurden die Frauen meistens in die Rolle der Artists oder Game Designer gedrängt, da die viele der männlichen Kommilitonen längere Programmier-Erfahrung hatte und damit schneller Ergebnisse liefern konnte - was in der Wirtschaft, aber nicht in einem Ausbildungsbetrieb Kriterium sein sollte.« 

In manchen Studienbereichen geht es noch aggressiver zu: »Ähnliche Erzählungen kenne ich aus Informatik-Studiengängen, in denen Frauen von Gruppenarbeitskollegen ausgegrenzt und als ›dummes Blondchen‹ bezeichnet wurden.« Ein solch abwertendes Bild der Frau ist Nährboden für (noch) Schlimmeres: 

»Ich habe so ein unangemessenes Verhalten selbst erlebt: Ungefragte Berührungen und Scherze über gemeinsamen Geschlechtsverkehr.« 

Frauen in der Spielebranche werden notgedrungen Expertinnen darin, Gefahrensituationen zu umschiffen. Die jetzt in der Spielebranche Beschäftigte erzählt: »In der Branche selber wird man manchmal von Kolleginnen gewarnt, von welchen Personen man sich gerade auf Partys fernhalten sollte. Auf der Gamescom gab es auch lange Partys mit besserem und schlechterem Ruf.« 

2012: Mit seinem Tweet löst Spieledesigner Luke Crane die Lawine #1reasonwhy aus. 2012: Mit seinem Tweet löst Spieledesigner Luke Crane die Lawine #1reasonwhy aus.

Wer offen für Frauenrechte eintritt, hat es noch schwerer. Eine spanische Videospielentwicklerin und -Redakteurin berichtet: »Aufgrund meines feministischen Aktivismus in sozialen Netzwerken ist es für mich praktisch unmöglich, in meinem Heimatland Spanien Jobmöglichkeiten in der Videospielbranche zu finden.« Hier wirke die männerdominierte Kultur noch einschränkender: »In Spanien eine Feministin im Videospielsektor zu sein statt ein attraktives Zubehör für die Firma, das ist ein sehr negatives Stigma.« De facto hat sie in ihrem Heimatland keine Chance auf einen Arbeitsplatz in dem Bereich, den sie liebt und in dem sie arbeiten will. 

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