Frauen über Sexismus: Activision Blizzard ist nur die Spitze des Eisbergs

Die Klage gegen Activision Blizzard wegen sexueller Übergriffen führt zu einem Erdbeben. Wie ist es wirklich, als Frau in der Spielebranche zu arbeiten?

Bei GameStar berichten Frauen aus der Spieleentwicklung, welche Arten der Diskriminierung und des Sexismus sie Tag für Tag erleben. Es zeigt sich: Das Problem ist viel größer als befürchtet. Bei GameStar berichten Frauen aus der Spieleentwicklung, welche Arten der Diskriminierung und des Sexismus sie Tag für Tag erleben. Es zeigt sich: Das Problem ist viel größer als befürchtet.

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Update vom 08.03.2024: Dieser Artikel ist ursprünglich als aufwändige Reportage bei GameStar Plus erschienen. Anlässlich des Weltfrauentags haben wir uns entschieden, diesen zweiteiligen Report auf Dauer hinter der Paywall hervorzuholen. Sexismus ist auch in der Games-Branche nach wie vor ein Problem, auf das wir aufmerksam machen wollen.

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Ein Hotelzimmer. Auf dem Bett mehr als ein halbes Dutzend Männer in Feierpose eng beisammen. In ihrer Mitte halten sie ein gerahmtes Bild. Darauf: Bill Cosby. Der Schauspieler wurde 2018 wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt, nachdem seit 2004 wiederholt Anschuldigungen gegen ihn erhoben wurden. 2021 wurde der Schuldspruch aufgehoben, die Staatsanwaltschaft reichte dagegen einen Antrag beim Supreme Court der USA ein.

Es ist das Jahr 2013. Es ist BlizzCon. Das Zimmer gehört Alex Afrasiabi, langjähriger Entwickler bei Blizzard – inzwischen entlassen. Das Bild ist Programm: »Cosby Suite« wird Afrasiabis Hotelzimmer genannt, wohl in Anspielung an die sexuellen Übergriffe des US-Comedians. Afrasiabi selbst veröffentlicht das Bild auf Facebook. Screenshots des BlizzCon Gruppenchats »BlizzCon Cosby Crew«, werden ebenfalls öffentlich. Darin ist die Rede davon, die »hot chicks« für »the Coz« zu rekrutieren – also die heißen Mädels für die Cosby-Suite. 

Dave Kosak, ehemals Lead Narrative Designer für World of Warcraft, schreibt im Chat an Afrasiabi gerichtet: »Du kannst sie nicht ALLE heiraten.« Worauf der lapidar erwidert: »Kann ich schon. Ich stamme aus dem Mittleren Osten.« Jesse McCree, Lead Designer von Diablo 4, mittlerweile ebenfalls entlassen, kommentiert: »Du hast ficken falsch geschrieben.«

Cosby Crew Alex Afrasiabi (ehem. Blizzard) posiert mit anderen Männern in der berüchtigten »Cosby Suite« während der BlizzCon 2013. (Quelle: Kotaku.com)

Frauenverachtende Chats »Du hast ficken falsch geschrieben.«. Ein Ausschnitt aus dem BlizzCon-Gruppenchat »BlizzCon Cosby Crew«. (Quelle: Kotaku.com)

Ein Trauerspiel in Endlosschleife

Die Bilder und Screenshots sind zunächst sichtbar für alle auf Afrasiabis Facebook-Profil. Öffentlich zur Schau gestellte Frauenfeindlichkeit. Längst keine Ausnahme in der Videospielbranche. Aber mit der Klage gegen Activision Blizzard scheint nun eine Lawine ins Rollen gekommen zu sein. Wie sehr im Argen die Situation liegt, zeigen unlängst die fruchtlosen Bemühungen des Spieleherstellers, das erodierte Image wieder glattzubügeln. 

Nachdem J. Allen Brack im Sommer seinen Hut als Präsident von Blizzard Entertainment nehmen musste, wird Jennifer Oneal neben Mike Ybarra Präsidentin. Damit ist sie eine der wenigen weiblichen Führungspersönlichkeiten im Business. Nur drei Monate später schmeißt sie wieder hin. 

Jennifer Oneal schmeißt nach nur drei Monate als Co-Präsidentin bei Blizzard Entertainment wieder hin. Grund: Ein nachhaltiger Wandel sei unter der derzeitigen Führung nicht möglich. (Quelle: Activision Blizzard) Jennifer Oneal schmeißt nach nur drei Monate als Co-Präsidentin bei Blizzard Entertainment wieder hin. Grund: Ein nachhaltiger Wandel sei unter der derzeitigen Führung nicht möglich. (Quelle: Activision Blizzard)

Ihr vernichtendes Urteil in einem Brief an die Rechtsabteilung: Ein nachhaltiger Wandel sei unter der derzeitigen Führung nicht möglich, denn »Ich bin als Token ausgenutzt, marginalisiert und diskriminiert worden.« Das Trauerspiel toxischer, männerdominierter Strukturen bei Activision Blizzard nimmt kein Ende. 

Die fauligen Grundpfeiler der Videospielindustrie

Aber: Es ist längst nicht das erste. Und Activison Blizzard nur symptomatisch für eine Branche, in der Sexismus und Misogynie zum Alltag gehören. Es scheint, als stünde die Videospielbranche auf reichlich fauligen Grundpfeilern – einer Arbeitsplatzkultur von Diskriminierung, Sexismus und Schönfärberei. 

Doch vieles davon scheint weit weg vom Alltag der Spieler. Deshalb haben wir uns für diesen Report mit Entwicklerinnen und Journalistinnen aus der ganzen Welt unterhalten. Darüber, wie Frauen in der Spielebranche arbeiten. Darüber, was sie über die aktuellen Enthüllungen denken. Welchen Formen der Diskriminierung und des Sexismus sie Tag für Tag ausgesetzt sind. Wir wollen ihnen hier bei GameStar ein Forum für ihre Stimmen geben, für ihre Erlebnisse und Meinungen.

Mit den Klagen gegen führende Spielehersteller erlebt die Branche nämlich gerade ihr lange überfälliges #metoo. Lange überfällig, wenn man bedenkt, dass das frauenfeindliche Klima innerhalb der Videospielindustrie und -Kultur old news ist. Spätestens seit den frühen 2000er Jahren verlangt das Thema Sexismus eigentlich in regelmäßigen schallenden Ohrfeigen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die es aber irgendwie nie so recht bekommt. 

Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern? Video starten 56:56 Wird der Blizzard-Schock endlich was ändern?

Chronik des Grauens

2007 muss die Spieleentwicklerin und Bloggerin Kathy Sierra ihren Wohnort wechseln, nachdem sie Vergewaltigungs- und Morddrohungen erhält. Sierra wendet sich an die Öffentlichkeit. Die Übergriffe nehmen dadurch sogar noch zu. Schließlich zieht sie sich zurück und beendet ihre Karriere. 

2012 fordert Tekken-Spieler und Kommentator Aris Bakhtanians während eines Capcom-Turniers der Serie Cross Assault die weibliche Team-Kollegin Miranda »Super Yan« Pakozdi auf, ihr Shirt auszuziehen, filmt ihre Brüste und lässt sich über ihr Aussehen aus. Alles per Live Übertragung. Die Reaktion des Sponsoring-Unternehmens bleibt aus. Pakozdi zieht sich schließlich aus dem Wettbewerb zurück. 

Übergriff 2012 fordert Tekken-Spieler und Kommentator Aris Bakhtanians während eines Capcom-Turniers der Serie Cross Assault die weibliche Team-Kollegin Miranda »Super Yan« Pakozdi auf, ihr Shirt auszuziehen, filmt ihre Brüste und lässt sich über ihr Aussehen aus. Alles per Live Übertragung. (Quelle: The Guardian)

Reaktion Miranda zieht sich aufgrund der Übergriffe schließlich aus dem Wettbewerb zurück.

Frauenbild Die Spielereihe ist bekannt für ihre freizügige Optik. Auf dem Bild: Marketing für Tekken Tag Tournament 2 auf der Electronic Entertainment Expo 2012.

Ebenfalls 2012: Der erste Stein kommt ins Rollen. Alles beginnt mit einem vermeintlich harmlosen Tweet des Spieledesigners Luke Crane: »Warum gibt es eigentlich so wenige weibliche Spieleentwicklerinnen?«. Was folgt, ist eine Lawine. Unter dem Hashtag #1reasonwhy sammeln sich all die traurigen, bizarren, grotesken, widerwärtigen Gründe der Twitter-Userinnen: Ungleichbezahlung, sexuelle Belästigung, toxisches Arbeitsklima. Die Liste unter dem Hashtag scheint endlos. 

#1reasonwhy ist das erste #metoo der Videospielbranche. Und schlägt Wellen. Die sich aber - unglaublicherweise - wieder glätten. Erbe der Diskussion - immerhin: Ein seit 2013 alljährlich stattfindendes Panel auf der Game Developers Conference mit dem Titel #1ReasonToBe, in der Frauen und andere in der Spieleindustrie marginalisierte Minderheiten ein Forum finden. Wohlgemerkt: Das ist dieselbe Game Developers Conference, auf der zahllose Frauen, auch einige unserer Gesprächspartnerinnen für diesen Artikel, in der Vergangenheit Übergriffe und Belästigungen erleben mussten. 

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