»Stecke deinen Kopf durch das Netz!«, fordert die Vektorgrafik-Ballerei Tempest 4000 bereits Sekunden nach dem Start. Hinreißend! Genauso gut könnte ein Mann das Gespräch beim ersten Date mit den Worten »Grottenolme injizieren sich gerne Macadamia-Nüsse mit Salamibrei!« einleiten. Der gute Ersteindruck dürfte jedenfalls gleich mal atomisiert sein.
Bei der nächsten Verbalabsurdität (»Beginne für Hinweisschilder unter Stufe 4«) dämmert dem Verbraucher, dass die Shaolin-Kloster-Weisheiten nicht aus abgelaufenen Glückskeksen gepurzelt sind, sondern aus dem Höllenschlund eines maschinellen Online-Übersetzers. Immerhin deutet dieser zweite Neonlichtschriftzug dezent an, dass für den frischgebackenen Raumschiffpiloten ein erklärendes Mini-Tutorial bereitsteht.
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Vier von 100 Levels fungieren als Starthilfe, ein klarer erster Pluspunkt für die Neuauflage des Automaten-Klassikers Tempest von 1980. Jeff-Minter-Apostel holen die Konfettikanone aus dem Keller und feiern, denn auch der aktuelle Spross entpuppt sich als leuchtendes Beispiel für das Genre der Tube-Shooter.
(Noch-)Nichtfans sollten dagegen ein paar Details kennen: Dass sie zunächst überfordert sein könnten etwa, weil sie es im Spiel mit einem Kaleidoskop zu tun bekommen, das LSD genommen hat. Positiv formuliert ist Tempest surreale Kleinkunst, wobei die Optik durch Screenshots schwer zu vermitteln ist. Baby-Ultraschallbilder sind ja auch deutlich weniger aufregend als das Endprodukt in Bewegung.
Mit Freude in die Röhre schauen
Wer noch nie ein Tempest ausprobiert hat, benötigt eine Gewöhnungsphase, um letztlich ein inniges Lichtverhältnis mit dem Spiel eingehen zu können. Obwohl die Grundlagen simpel sind: Der Pilot steuert sein Raumschiff auf einem Gitter. Die »Claw« kann sich nur am vorderen Rand bewegen. Von der gegenüberliegenden Seite, aus der Tiefe des Raums, fliegen Aliens auf den Spieler zu. Erreichen sie den unteren Rand, wird's haarig. Im Falle einer Kollision ist ein Bildschirmleben dahin.
Im Grunde läuft alles wie bei bekannten Urvätern á la Space Invaders, Centipede, Galaxian & Co., mit einer entscheidenden Ausnahme - der 3D-Komponente: E.T.s bitterböse Verwandtschaft nähert sich bei Tempest 4000 nicht von oben, sondern fliegt gewissermaßen aus dem Bildschirm heraus auf uns zu. Dabei entsteht ein gewollter Tunnelblick, was den Begriff Tube-Shooter prima erklärt.
Ohrales Leveldesign
Die Levels unterscheiden sich durch die Form des jeweiligen Gitternetzes. Mal ist es eine einfache Ebene, mal ein Kreis, ein Viereck oder ein Zylinder. Im weiteren Verlauf geraten die geometrischen Figuren komplexer. Level 14 heißt zum Beispiel»The Ear« und bildet deshalb (suprise, surprise!) ein Ohr. Anfangs segnet unser Pilot meist nur bei Zusammenstößen das Zeitliche.
Werden die Feinde mächtiger, ballern sie unverschämterweise auch verstärkt zurück. Will der Held überleben, sollte er dringend alle Extras einsammeln. Wobei er die Power-ups in jedem Level erneut eintüten muss, er fällt nämlich jedes Mal in die Serienausstattung zurück. Der Standardlaser zu Beginn hat ungefähr die Durchschlagskraft eines Taschenlampenstrahls. Mit dem ersten Upgrade (Codename: »Pleasure«) erhöht sich die Feuerrate. Der »Partikellaser« verfügt über eine breitere Fächerung.
Bunt fürs Leben: Jeff Minter
Der walisische Kultdesigner Jeff Minter ist seit den frühen Achtzigerjahren ein bunter Vogel, der immer wieder bunte Spiele entwickelt. Sein Pseudonym »Yak« trägt der Althippie, der gewissen Substanzen nicht abgeneigt ist, wegen seines Faibles für Schafe, Ziegen und ähnliches Getier. Er gründete 1982 die Firma Llamasoft, ein neuerer Titel von ihm heißt Space Giraffe (2009), und in Deutschland gilt Attack of the Mutant Camels (1983) als einer der bekanntesten Titel.
Minter schuf vier Tempest-Neuauflagen: Tempest 2000 (1994), Tempest 3000 (anno 2000), TxK (2014) sowie eben Tempest 4000. Er brütet seine Spiele bis heute im Zwei-Mann-Unternehmen aus, inspiriert von den Paarhufern, die mit ihm auf seinem Bauernhof grasen.
Das Extra »Sprung« ermöglicht es dem Piloten, das Gitternetz kurz zu verlassen. Sinnvoll ist das, wenn schon zu viele Außerirdische bis zur Claw durchgebrochen sind. Hier droht dann nämlich gesundheitsschädliches Gedränge, tödlich wie ein Sommerschlussverkauf mit renitenten Hausfrauen. Losgelöst vom Netz brezelt der Wohnzimmer-Krieger die fiese Brut weg und schafft sich so mit Gewalt eine Rettungsgasse.
Vektorliterweise Farbe
Das vierte Power-up heißt »Beauty«, die Bezeichnung kommt nicht von ungefähr: Während das eigene Schiff kurzzeitig unzerstörbar ist, zieht der Pilot mit einem doppelstrahligen Todesstern-Gedenk-Laser einen vernichtenden Kreis über alles, was nicht bei Drei im nächsten Wurmloch verschwindet.
Auf dem Monitor entlädt sich ein Cocktail aus Brillantfeuerwerk und Lasershow. Durch die Eruptionen fliegen Trümmer und Partikel umher, das Bild wabert und verzerrt sich, um letztlich in vektorliterweise Farbe zu ertrinken. Alarmstufe Rot: Epilepsie-Warnung ick hör dir trapsen! Dazu wummst es mächtig, untermalt von treibenden Techno-Klängen.
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