Dieser Zug ist die Zukunft der Deutschen Bahn - ich bin eine Woche mitgefahren

Vor meiner Haustüre testet die Bahn gerade den Ideenzug - der soll das Reisen auf Gleisen in die Zukunft bringen. Ich bin damit eine Woche ins Büro gependelt und habe alles ausgiebig getestet.

In diesem Waggon testet die Bahn neue Fahrkonzepte - ich konnte sie im Livebetrieb ausprobieren. In diesem Waggon testet die Bahn neue Fahrkonzepte - ich konnte sie im Livebetrieb ausprobieren.

Um euch die Feiertage und die Zeit zwischen den Jahren mit unterhaltsamen und informativen Inhalten zu versüßen, haben wir handverlesen GameStar-Tech-Artikel ausgesucht, die uns 2023 in besonderer Erinnerung geblieben sind und deren Lektüre wir euch sehr ans Herz legen.

Dieser Artikel ist einer davon. Die Redaktion wünscht frohe Feiertage!

Spannend war nie ein Wort, das ich mit dem Pendeln in Verbindung brachte. Wie viele Berufstätige fahre ich mit dem Zug ins Büro. Und das ist manchmal gemütlich, häufig nervig und ab und zu zum Ausrasten. Spannend war es bisher nie.

Vergangenes Jahr war die Kombination aus Pendeln und Spannend aber auf einmal gar nicht mehr so abwegig, denn: Auf meiner Strecke sollte schon bald ein neuer Zug ausprobiert werden - der Ideenzug.

Mit dem will die Bahn das Konzept Zug neu denken. Denn wenn selbstfahrende Autos irgendwann einmal mehr Komfort auf die Straße bringen, will man laut eigener Aussage gewappnet sein.

Die Antwort ist unter anderem ein Regionalzug-Waggon im Dienst der Südostbayernbahn. Der zweistöckige Waggon besteht aus zehn verschiedenen Modulen, die im Betrieb getestet und dann möglicherweise auch in den Serienbetrieb übernommen werden sollen.

Die Module reichen dabei vom klassischen Abteil bis hin zu innovativeren Konzepten wie Bürokabinen oder einem Stammtisch mit Public Viewing.

Um zu schauen, wie sich die mögliche Zukunft der Bahn auf der Strecke schlägt, bin ich eine Woche lang mit dem Ideenzug gependelt und habe alle Module des Waggons getestet.

Tag 1: Abteil mit Familienecke

Am ersten Tag lasse ich es langsam angehen und suche mir einen Sitzplatz im handelsüblichen Abteil des Ideenzuges. Der hält, was man erwartet: ein klassisches Regionalzug-Abteil, aber eben im modernen Look, dazu gibt es ein paar Technik-Features.

Ein »Klassiker« im neuen Gewand: Das Bahn-Abteil des Ideenzuges. Ein »Klassiker« im neuen Gewand: Das Bahn-Abteil des Ideenzuges.

Drei Dinge fallen mir nach dem Einsteigen sofort auf:

  1. Das prominent platzierte USB-Logo auf dem Holztisch zwischen den Sitzen. Unter dem Logo finden sich zwei USB-A-Buchsen zum Laden von Handys und Laptops. Klingt nach einer Kleinigkeit, aber meine Güte, ist das praktisch.
  2. Die aktuell noch ziemlich sinnfreien Displays über den Fenstern. Momentan findet sich dort nur eine statische Willkommens-Nachricht. Ähnlich wie etwa in der U-Bahn in München könnten hier künftig Fahrplan und Infotainment angezeigt werden.
  3. Die diffuse Beleuchtung. Vor allem vor dem ersten Kaffee, wenn die Augen noch schwer sind, sorgt das Licht für ein angenehmes Mitfahren.

Die Sitze sind für Regio-Verhältnisse bequem und die weichen Kopfpolster sorgen sogar für ein bisschen Fernverkehrs-Flair. Alles in allem gibt es bei der Bequemlichkeit aber keine Revolution - vielleicht wird das in den Folgetagen anders, wenn ich die exotischeren Konzepte des Ideenzuges teste?

Positiv im Gedächtnis geblieben ist auch die Menge an Stauraum im Abteil. Über und unter den Sitzen gibt es genug Platz für Koffer, Rucksäcke und Co. So lassen sich vielleicht künftig Hindernisparcours wie in der vergangenen Woche vermeiden, als ich mich ungelenk durch das Gepäck einer Schulklasse auf Klassenfahrt kämpfen musste?

USB-Anschlüsse Bis zu zwei Geräte lassen sich pro Vierersitz laden.

Fenster-Displays Noch finden sich auf den Fenster-Displays keine relevanten Informationen.

Diffuses Licht Vor allem morgens sehr angenehm: Die Beleuchtung des Abteils.

Kinderecke Der Tisch der Kinderecke kommt mit Schienen-Muster.

Mein Ersteindruck zum Ideenzug ist verhalten positiv: Das Abteil bietet Detailverbesserungen, aber macht nichts grundlegend anders. Aber in den Folgetagen wartet ja noch mehr auf mich, darunter etwa ein Einzelbüro - und ein Entspannungssitz.

Tag 2: Eckbank und Entspannungssitze

An Tag 2 werden die ausprobierten Module etwas ausgefallener - Zeit für den als Eckbank bezeichneten Gruppenbereich und die Entspannungssitze mit Panorama-Blick.

Bei der Eckbank handelt es sich um eine Reihe von längs angeordneten Sofabänken - natürlich auch wieder mit diffusem Licht und USB-Ladebuchsen. Hier sollen vor allem größere Gruppen Platz finden. Als ich einsteige, ist der Zug noch recht leer. Dadurch lässt es sich auf den Sofas gemütlich fläzen. Ich möchte fast schon von Wohnzimmeratmosphäre sprechen.

Nachdem der Zug voller wird, lässt die aber leider nach. Denn durch die Bänke ohne Abtrennung geht dabei auch das letzte Stückchen Privatsphäre verloren.

Eckbank-Modul Auf den Sofabänken finden vor allem Gruppen Platz.

Ladebuchsen Auch hier gibt es wieder USB-A zum Laden ...

Display ... und einen Bildschirm, der noch nicht genutzt wird.

Zeit also, in einen der glücklicherweise frei werdenden Entspannungssitze zu wechseln. Davon gibt es im ganzen Waggon nur zwei Stück, entsprechend begehrt sind die Sitze und hoch meine Erwartungen.

Leider wurden die nur zum Teil erfüllt. Tatsächlich gelingt es mit den Sitzen, sich ein wenig aus dem Bahntrubel zurückzuziehen. Und der frontale Blick aus dem Fenster hat auch etwas für sich, wenn die Aussicht taugt.

Dafür sind die Sitze etwas unbequemer als die gemütlichen Sofas des Gruppenbereichs und auch der Abteilsitze mit Kopfpolster - bei etwas, das als Entspannungssitz bezeichnet wird, hatte ich mir mehr erhofft.

Entspannungssitze Aus irgendeinem Grund habe ich erwartet, dass sich die Sitze drehen - Spoiler: Tun sie nicht.

Ausblick Die Entspannungssitze ermöglichen einen frontalen Blick auf die Landschaft.

QR-Codes Über diese QR-Codes lassen sich aktuelle Infos zur Fahrt auf dem Smartphone abrufen.

Was mir dafür aber erst jetzt auffällt: Zwischen vielen Fenstern des Ideenzuges kleben kleine QR-Codes. Scannt man die, gelangt man zu einer Übersichtsseite, auf der die aktuelle Verbindung samt Verspätungen, Infotainment und News sowie lokale Reiseziele für Touristen angezeigt werden.

Wie ich mittlerweile festgestellt habe, gibt es diese QR-Codes auch in den normalen Regio-Waggons, ich wollte sie aber trotzdem nicht unerwähnt lassen.

Außerdem bietet der Regionalzug WLAN, das mich nicht im Stich lässt - die Zukunft ist wild!

Tag 3: Ergonomische Sitze

Nach all dem Fläzen an Tag 2 wird es Zeit für eine bessere Haltung. Also knöpfe ich mir an Tag 3 die ergonomischen Sitze vor. In dem Modul geht es etwas weniger gemütlich zu als im Rest des Zuges. Die Ergonomie hat Vorrang.

Also finden sich hier Elemente aus Metall und ein Mesh-Stoff statt weicher Sitzbezüge. Die kleinen Metalltische am Sitzrücken erinnern mich etwas an Kantinen-Tabletts aus Schulzeiten.

Den Fokus will man ja aber auch auf das Sitzen legen.

Sitze (1) Die ergonomischen Sitze von vorne ...

Sitze (2) ... und von der Seite.

Metalltisch Die Oberkante des Metalls drückt bei falschem Sitzen leicht in den Rücken.

Ladebuchsen Im Ergonomie-Modul sind die Ladebuchsen unter den Sitzen versteckt.

Also: Was können die ergonomischen Sitze? Im ersten Moment bin ich kurz erschreckt, denn das ist richtig ungemütlich. Die Querstrebe des Metalltisches drückt mir in den Rücken und die Kopfablage dürfte auch gerne weicher sein.

Als ich mich aber aufrecht hinsetze, um dem Drücken zu entgehen, verschwindet es fast vollständig. Bequem wird der Sitz dadurch immer noch nicht, aber ich bleibe die gesamte einstündige Fahrt aufrecht sitzen.

Tag 4: Einzelbüro und 1. Klasse

Zeit für etwas Luxus: Heute habe ich mir ein Ticket für die erste Klasse gegönnt. Im Ideenzug bedeutet das, dass mir gleich zwei neue Module offenstehen: das klassische 1.-Klasse-Abteil und die Einzelbüros.

Mit letzteren habe ich begonnen, denn auf die abtrennbaren Einzelkabinen mit Sichtschutz und zuziehbarer Tür hatte ich mich schon eine Weile gefreut. Dahinter verbirgt sich ein breiter Sitz mit ordentlich Fußraum und der Möglichkeit, die Lehne vor- oder zurückzustellen.

Außerdem gibt es einen Tisch, der sich auf Wunsch näher an den Sitz heranziehen lässt, sodass man sich beim Sitzen nicht so weit vorbeugen muss. Und zum üblichen USB-A-Ladeport gibt es hier noch einen Schuko-Stecker für Laptop-Netzteile.

Dem Sitz gegenüber hat man obendrauf noch ein Display angebracht - und das nur für mich! Während meiner Testfahrt blieb das aber schwarz. Stellt euch meine Enttäuschung vor.

Einzelbüro Die Einzelkabine ist der 1. Klasse vorbehalten.

Display Das Display bleibt schwarz - habe ich was verpasst?

Ladestecker In der Kabine lässt sich ein ganzes mobiles Büro laden.

Tisch Den Tisch kann man näher an sich heranziehen.

Über den Komfort der Kabine lässt sich nur wenig Schlechtes sagen. Die Sitze sind noch einmal um ein Vielfaches bequemer als in der 2. Klasse, die Möglichkeiten zum Verstellen von Sitz und Tisch eine nette Zugabe. Der wahre Luxus ist aber die Ruhe, die man in der Einzelkabine hat. Müsste ich etwas bemängeln, wäre es die Tür, die sich beim Bremsen ab und zu leicht öffnet.

Während der zweiten Fahrthälfte wechselte ich in das reguläre Abteil für die 1. Klasse. Hier erwarten mich dieselben bequemen Sitze wie im Einzelbüro. Lediglich die ausklappbaren Tische unterscheiden sich vom vorherigen Modul.

Dafür gefällt mir die 1. Klasse beim Design wirklich gut - genau so sieht ein Zug der Zukunft in meinem Kopf aus. Und arbeiten lässt es sich hier auch nicht schlecht, dank der ebenfalls ausziehbaren Tisch-Oberfläche.

Seltsamerweise sind Displays wie in der zweiten Klasse hier aber nicht zu finden.

Doppelsitze Auch die Sitze im Abteil lassen sich per Knopfdruck verstellen.

Einzelsitze So sieht für mich ein moderner Zug aus.

Tisch (1) Der Tisch lässt sich bei Bedarf ausziehen.

Tisch (2) Auf dem Tisch findet sich eine Erklärung zum Ausklappen.

Tag 5: Eingangsbereich und Stammtisch

Der letzte Tag meiner Testwoche ist angebrochen - und ich nehme mir endlich mal Zeit, den Eingangsbereich genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei fällt mir auf, dass das bisher eher überflüssige Display endlich mit Leben gefüllt wurde. Nächster Halt, Verspätung, Anschlüsse und aktuelle Uhrzeit finden darauf Platz.

Sonst hat sich beim Eingangsbereich bis auf einen neuen Look eher wenig getan. Und auch auf der Toilette ist das meiste gleich geblieben. Fragt mich nicht, warum ich gerade hier eigentlich mit etwas mehr Innovation gerechnet habe.

Eingang Der erste und letzte Blick im Ideenzug fällt auf den Eingangsbereich.

Display Am letzten Tag zeigen die Displays, was eigentlich in ihnen steckt.

Sitzecke Die Sitzecke neben dem Eingang kennt man.

Toilette Auch auf der Toilette hat sich wenig getan - den Anblick der Rückseite erspare ich euch.

Direkt neben dem Eingangsbereich ist der Stammtisch. Damit bezeichnet die Bahn ein Modul mit Mehrzweckbereich, zwei langen Tresentischen und einem großen Display.

Die hohen Sitze fand ich für die kurze Pendelstrecke angenehm und auch das Arbeiten fällt hier leicht. Möglicherweise hilft das Konzept sogar dabei, während der Bahnfahrt eher mit anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen, wenn man das möchte. Für längere Fahrten könnte das Modul dann aber doch etwas unbequem werden, so meine steile Vermutung.

Stammtisch Der Stammtisch eignet sich vor allem für kurze Fahrten.

Sitzecke Auf den Tischen finden Laptops oder Handys Platz.

Mehrzweck Fahrräder kommen im Mehrzweckbereich unter.

Display Schickes Display - aber da könnte man doch auch E-Sports übertragen.

Auf dem großen Display wird eine grobe Karte der gesamten Strecke mit weiteren hilfreichen Informationen angezeigt. Das ist schon ziemlich cool, dem Namen gerecht würde es aber erst werden, wenn man hier Sportevents wie die aktuell laufende Frauen-Weltmeisterschaft im Fußball oder, ganz modern, E-Sports zeigen würde - man darf ja noch träumen.

Fazit nach einer Woche mit dem Ideenzug

Alana Friedrichs: Ich bin nach einer Woche Pendeln positiv überrascht vom Ideenzug.

Die einzelnen Module sind mehrteilig sinnvoll und ich könnte sie mir sehr gut auch im regulären Betrieb vorstellen.

Auch die von mir befragten Schaffner des Zuges stimmen dem zu - ihnen scheinen die Module also auch keinen unnötig großen Mehraufwand zu bereiten, stattdessen gefällt ihnen das moderne Design und die Abwechslung, die die zehn Module für Reisende bieten.

Nicht ganz so restlos begeistert bin ich von den technologischen Neuerungen für Fahrende des Ideenzuges. Stabiles WLAN, USB-A-Ladebuchsen für nahezu jeden Sitz und eine Vielzahl an digitalen Displays, die über den aktuellen Fahrverlauf informieren - das sind alles Neuerungen, die ich schon während der ersten Woche zu schätzen gelernt habe, und die schmerzhaft auffallen, wenn sie fehlen:

Aber der große Wow-Effekt bleibt hier etwas aus. Vielleicht liegt das auch daran, dass die exotischeren Module des bereits 2020 vorgestellten Konzepts in der Praxis noch nicht umgesetzt wurden. Zu diesem Zeitpunkt war noch die Rede von einem Fitnessstudio oder Snack- und Getränkeautomaten im Zug.

Trotzdem will ich nicht meckern. Denn während meiner Pendelwoche mit dem Ideenzug hatte ich dank größerer Auswahl immer den Sitzplatz parat, der zu meiner aktuellen Fahrsituation gepasst hat: Stammtisch für kurze Strecken, ergonomische Sitze nach einem langen Tag im Büro, Einzelsitzplatz fürs Arbeiten auf langen Reisen.

Jetzt wünsche ich mir nur noch, dass die Bahn an dem Konzeptzug festhält und funktionierende Elemente auch in den Regelbetrieb übernimmt.

Was meint ihr? Ist der Ideenzug eine sinnvolle Idee? Überzeugen euch die Konzepte und wünscht ihr sie euch bald auch im Normalbetrieb der Bahn? Oder ist das ein Fokus auf unnötige Kleinigkeiten, wenn die Bahn eigentlich viel schwerwiegendere Probleme angehen müsste? Schreibt es mir gerne in die Kommentare!

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