Der Meeresspiegel steigt, doch die Niederlande hat einen Plan - mit schwerwiegenden Folgen für ganz Europa

Die Klimakrise bringt vieles an Unbill mit sich, eine Facette: der Meeresspiegelanstieg. Allerdings gibt es Ideen für ein Bauprojekt, das alles auch nur entfernt vergleichbare in den Schatten stellen würden.

Deiche, sie sind seit Jahrhunderten unser Verteidigungswall auf Tausenden Kilometern Länge gegen Nord- und Ostsee. Mit NEED wäre eine Erhöhung auch in der Klimakrise überflüssig. (Bild: Adobe Stock - Carl-Jürgen Bautsch) Deiche, sie sind seit Jahrhunderten unser Verteidigungswall auf Tausenden Kilometern Länge gegen Nord- und Ostsee. Mit NEED wäre eine Erhöhung auch in der Klimakrise überflüssig. (Bild: Adobe Stock - Carl-Jürgen Bautsch)

Für Nachbarn der Weltmeere wird es im 21. Jahrhundert spannend – so auch für alle Staaten an der Nord- und Ostsee. Denn wir wissen nicht genau, wie hoch der Meeresspiegel steigen wird, aber eines ist klar: An den allermeisten Küsten wird er steigen. Hierdurch wird der Lebensraum von Millionen von Menschen bedroht.

Wieso steigt der Meeresspiegel nicht an jeder Küste? Einer der Hauptgründe für diese vermeintlich absurde Aussage findet sich in der sogenannten isostatischen Bodenhebung oder: Die Gletscher der letzten Eiszeit sind schuld. Ihr Gewicht hat die kontinentalen Platten unter sich abgesenkt. Aktuell heben sich deshalb zum Beispiel etliche Bereiche Europas, wie die skandinavischen Länder. Diese Hebung schwächt quasi den erlebten Anstieg des Meeres ab.

Ein neuer Ansatz: Nehmen wir einfach mal an, wir machen gar nichts, alles geht so weiter, wie bisher und der Meeresspiegel steigt ungebremst. Ferner möchten wir, anstatt die bestehenden Küstenlinien mit Tausenden Kilometern von Schutzanlagen wie immer höher ausfallenden Deichen weiter zu verteidigen, die Frage ein für alle Mal zu klären.

Wir stellen euch eine Radikal-Lösung für Mitteleuropa vor, die bisherige Annahmen auf den Kopf stellt.

Gigantischer Damm für Nordseeanrainer

Wissenschaftler aus den Niederlanden und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben sich im Zuge eines Forschungspapiers eine Option angeschaut, die an Gigantismus grenzt: der Northern European Enclosure Dam (NEED).

Der vorgestellte Konzeptplan umfasst den Bau von Staudämmen im Ärmelkanal zwischen Südengland und Frankreich sowie am südlichen Rand des europäischen Nordmeers zwischen Norwegen und Schottland. Das Ziel: die Nordsee – und im selben Zuge die Ostsee – in ein Binnengewässer zu verwandeln. Denn jene Wasserstraßen sind die einzigen Zu- und Abflüsse in die Weltozeane. Sind sie dicht, könnte uns ein Abschmelzen des Festlandeis auf Grönland und der Antarktis egoistisch gedacht egal sein – zumindest was den Meeresspiegel angeht.

Karte der Nord- und Ostsee mit den vorgeschlagenen Positionen der Dämme. Hier ist auch gut der dunkelblaue Tiefbereich nahe der nordwegen Küste zu erkennen. Bildquelle: Geomar und nach Groeskamp, S., and J. Kjellsson Karte der Nord- und Ostsee mit den vorgeschlagenen Positionen der Dämme. Hier ist auch gut der dunkelblaue Tiefbereich nahe der nordwegen Küste zu erkennen. Bildquelle: Geomar und nach Groeskamp, S., and J. Kjellsson

Die zwei Teile von NEED würde folgendermaßen aussehen:

  • 161 Kilometer lang im Ärmelkanal, 85 Meter Wassertiefe im Baubereich
  • 500 Kilometer messend im hohen Norden, 127 Meter mittlere und maximal 320 Meter Wassertiefe in der Bauschneise

Abseits der Materialmengen, die für die Aufschüttung solcher Dämme notwendig wären, würden auch noch Pumpwerke benötigt. Denn das Wasser aus den Flüssen, die in Nord- und Ostsee münden, müsste in den Atlantik gepumpt werden – etwa 40.000 Kubikmeter pro Sekunde laut der Studie. Aktuell schaffen die leistungsfähigsten Anlagen dieser Art rund 500 Kubikmeter pro Sekunde. Sie sind in New Orleans und am Abschlussdamm des Ijsselmeeres in den Niederlanden zu finden.

Die Kosten beziffern die Autoren auf nach heutigen Maßstäben zwischen 250 und 500 Milliarden Euro. Bei einer Bauzeit von 20 Jahren würden diese Investitionen zwischen 0.07 - 0.16 Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes der 15 Anrainerstaaten beanspruchen. Es wäre das größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte Europas.

Nach unseren bisherigen Maßstäben klingt die Dimension eines solchen Projekts völlig unvorstellbar, so Prof. Joakim Kjellsson, Juniorprofessor in der Maritimen Meteorologie und Co-Autor vom GEOMAR. Trotzdem könnte so ein System, wenn es überhaupt technisch realisierbar wäre, wirtschaftlicher sein, als individuelle Küstenschutzmaßnahmen in den 15 Anrainerstaaten, so die Autoren.

Ein herkömmlicher Damm, jene Bauwerke, die im Zuge von NEED entstehen würden, wäre im Prinzip vergleichbar, aber um viele Größenordnungen komplexer und aufwendiger zu bauen. (Bild: Adobe Stock - Steven) Ein herkömmlicher Damm, jene Bauwerke, die im Zuge von NEED entstehen würden, wäre im Prinzip vergleichbar, aber um viele Größenordnungen komplexer und aufwendiger zu bauen. (Bild: Adobe Stock - Steven)

Was wären die Folgen von NEED?

  • Nord- und Ostsee würden durch den nicht endenden Zufluss von Süßwasser mit der Zeit trotz Abpumpen wahrscheinlich zunehmend versüßen. Das würde die bestehende Tierwelt stark beeinflussen.
  • Die Wanderbewegungen von Tieren würden enden.
  • Die Gezeiten würden sich stark abschwächen.
  • Der Wasseraustausch würde stoppen.
  • Die Dämme wären ideale Ziele für den Angriff im Kriegsfall oder durch Terroristen. Würde auch nur einer punktuell stark beschädigt werden, wären die Verwüstungen kaum abzusehen.

Und selbst wenn wir all das Ausblenden, wäre der Bau eine Katastrophe für Mitteleuropa. Nord- und Ostsee haben für Deutschland wirtschaftlich gesehen allen voran eine Funktion: Sie sind die Tore zur Welt für Unmengen an Handelsgütern. Laut dem Statistischen Bundesamt sind zum Beispiel 2022 fast 2⁄3 aller Exporte an Bord von Seeschiffen erfolgt.

Die neuen Prachtbauwerke von Europa inmitten des Meeres wären nämlich das wahrscheinliche Ende allen Schiffs-Warenverkehrs zwischen Nordeuropa und der Welt. Länder wie England, Frankreich und Spanien hätten Alternativen – wären hier aber auch durch den Meeresspiegelanstieg bedroht.

Aber die Bundesrepublik hätte dann das größte Binnenmeer der Welt vor seinen einstmals stolzen Seehäfen, wie Wilhelmshaven, Bremerhaven oder Hamburg. Und auch in Rotterdam würde Stille einkehren.

Denn um den Handelsverkehr aufrechterhalten wollen, bräuchte es entweder Schleusen, wie beim Panama-Kanal (also quasi gleich mehrere Dämme und nicht nur einen) oder alle Waren müssten an Wassersperren auf andere Schiffe in den nun abgeschlossenen Binnengewässern umgeschlagen werden - oder über die neuen Brücken transportiert werden.

Neue Mega-Brücken: Denn der einzige Trost wären die durch NEED entstehenden Brücken, die den Ärmelkanal sowie die Nordsee überqueren. So ließen sich Waren zumindest per LKW oder per Zug zu Häfen bringen. Doch dieser Wust an Verkehr würde die Verbindungen sicherlich rasch erlahmem lassen.

Mit welchem Meeresspiegelanstieg ist zu rechnen?

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Karten zum erwarteten Meeresspiegelanstieg: Wer sich eingehender mit Simulationen zum Anstieg des Meeresspiegels beschäftigen möchte, kann sich unter anderem diese zwei Karten anschauen:

Eine weitere sehr schick aufbereitete Präsentation des Themas findet ihr bei correctiv.

Deshalb kommen die Forscher hinter dem Papier auch zu einem klaren Ergebnis:

Wir sind nicht wirklich der Meinung, dass ein solches Projekt realisiert werden sollte. Wir möchten betonen, dass die beste Option nach wie vor darin besteht, gegen den Klimawandel vorzugehen und zu verhindern, dass eine solche Lösung überhaupt notwendig wird.

Professor Kjellsson

Eine Idee wie diese zeigt, wie folgenreich und epochal unsere heutigen Entscheidungen im Umgang mit der Klimakrise sind - egal, was wir tun oder eben auch nicht tun. Es wird Folgen haben. Denn wenn selbst ein Konzept wie NEED auch nur im Ansatz sinnvoll erscheint, ist die Lage wahrlich ernst.

Übrigens: Auch anderenorts auf dem Globus würden solche Dämme ähnliches bewirken. Die Wissenschaftler zeigen, dass der arabische Golf, die Westseite von Japan, das Rote Meer oder auch das Mittelmeer ebenfalls geeignete Kandidaten für Megaküstenschutz-Projekte wären.

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